Schriftlichkeit als Verwaltungsprinzip

In der Literatur wird die Zeit der Helvetischen Republik als eine schreibwütige, überadministrierte Zeit, als einen dem ausgehenden Ancien Régime fremden, für die Helvetik jedoch charakteristischen Verwaltungsexzess beschrieben.[1] Die 4000 Aktenbände des Zentralarchivs der Helvetischen Republik weisen zweifellos auf einen Schriftverkehr in bisher nicht gekanntem Ausmass hin.[2] Der genauere Blick auf die Strassen- und Brückenverwaltung und auf ihren rund 70 Bände oder Dossiers umfassenden Schriftverkehr illustriert dies, er relativiert aber auch manches. Viele Schriftstücke wurden in der Logik der Verwaltung zwei- oder gar dreimal abgelegt, beispielsweise im Sekretariat des Direktoriums und in einer Entscheidsammlung der Brücken- und Strassenverwaltung. Nicht selten findet sich in den Akten der Verwaltung auch noch der Entwurf zum Entscheid, der meistens wohl im Direktorium gefällt, aber als Sachgeschäft im Departement vorbereitet worden war. Und oftmals existiert von einem Dokument auch noch die Übersetzung in der jeweils anderen Amtssprache (das Französisch dominierte).[3] Hinzu kommen die Protokolle der Sitzungen. Schliesslich wurden auch Registerbände geführt, um die Übersicht zu behalten und um den jederzeitigen, leichten Rückgriff auf die Originale zu haben. Und was sind schon 4000 Aktenbände einer Staatsverwaltung über fünf Jahre gegen die heutige Aktenproduktion nur schon einer kleineren Kantonsverwaltung ….

Die Akten des Zentralarchivs lassen darauf schliessen, dass das Schreiben grosse Zeit der Tätigkeit der helvetischen Behörden und Beamten einnahm. Das wird beispielhaft bestätigt, wenn sich etwa der Agent Jakob Moser von Rotenburg gegen den Vorwurf diverser Arbeitsversäumnisse an den Strassen damit rechtfertigte, dass die Agenten insbesondere für das Ausfüllen der zahlreichen Umfragen und Statistiken sehr viel Zeit benötigten. Moser arbeitete allein im August und November 1798 sowie im Januar und April 1799 während acht bis zehn Tagen pro Monat für diese Sonderaufgaben, nebst den üblichen Arbeiten in der Gemeinde und an den Strassen. Dabei waren die Agenten und die Wegmeister meistens noch mit einem Neben- oder gar einem Hauptgewerbe in der Landwirtschaft belastet.[4]

Aus dieser forcierten Schriftlichkeit der helvetischen Verwaltung und aus der Tatsache, dass auch die Anfänge des Bundesarchivs in der Zeit der Helvetik liegen und seither eine weitgehende Kontinuität der Überlieferung bestanden hat, folgt die gute Quellenlage. Die Quellenfülle erlaubt es, aus dem damaligen Verwaltungswissen Informationen im Sinne der Hauptfragestellungen über die Strassen- respektive Wegnetze sowie über die Verkehrsverhältnisse auf diesen zu gewinnen. Wir können über den reichen Quellenfundus gleichsam in die Rolle der helvetischen Beamten schlüpfen, denen die Verhältnisse in den Regionen teilweise unbekannt waren und die sich darum auf verschiedenen Ebenen über die Situation in den Regionen informieren mussten.

Schriftenverkehr der Zentralverwaltung

Der Schriftenverkehr der Zentralverwaltung wurde in den sogenannten Missivenbüchern festgehalten, der ausgehende im Wortlaut und der eingehende mit Zahlen, die auf die entsprechenden Dossiers im Ablagesystem verweisen.[5]

Abgehende Schreiben gemäss der Missivenbücher des Kriegsministeriums

Rang

Kantone

1798

1799

1800

1801

1802

1803

1798–1803

1

Bern

12

48

69

98

37

4

268

2

Aargau

5

21

42

51

53

8

180

3

Zürich

 

16

34

70

40

6

166

4

Linth

 

6

53

48

40

3

150

5

Fribourg

 

6

68

39

24

7

144

6

Baden

5

27

34

48

24

1

139

7

Léman

 

14

37

45

33

8

137

8

Solothurn

 

15

30

38

42

5

130

9

Basel

7

25

38

33

21

1

125

10

Waldstätten

 

25

51

33

5

 

114

11

Säntis

 

12

37

35

20

3

107

12

Luzern

 

30

25

34

14

2

105

13

Valais

 

14

26

25

3

1

69

14

Thurgau

 

9

20

21

10

 

60

15

Lugano

 

4

13

25

14

1

57

16

Schaffhausen

 

3

21

19

12

2

57

17

Oberland

 

12

20

11

12

1

56

18

Bellinzona

 

3

11

14

10

1

39

 

Total

29

290

629

687

414

54

2074

Bern, der Kanton mit der grössten Infrastrukturbau- und Verwaltungstradition, hatte auch den dichtesten Schriftwechsel mit der Zentralverwaltung. 1800 und 1801 waren gemessen am Schriftverkehr die Jahre der intensivsten Verwaltungstätigkeit. Zum nur zeitweise bestehenden Kanton Rhätien ist keine Korrespondenz der Abteilung III überliefert.

«Inventaire des Livres du Bureau des Ponts & Chaussées»

Ein Schlüsseldokument für den Quellenzugang ist das Mitte 1801 aufgenommene Inventar des Büros der Division III «Génie, Ponts et Chaussée», mit dem sich unter anderem das auf Ordnungszahlen beruhende Verweissystem der einzelnen Dokumente im Verwaltungsprozess aufschlüsseln lässt.

Das Inventar ist nicht in der Handschrift des Generalinspektors Jean Samuel Guisan, sondern in der seines Nachfolgers Henri Exchaquet geschrieben. Das späteste im Inventar verzeichnete Datum bezieht sich auf den 1. Oktober 1801, das heisst schon auf die Zeit nach Guisans Tod. Wahrscheinlich diente das Inventar seinem Nachfolger Abram-Henri Exchaquet als Orientierungshilfe, um sich in der Ordnung des von ihm neu übernommenen Büros und der dort vorhandenen Unterlagen zurechtzufinden.

Erste Seite des Büroinventars der Division III «Génie, Ponts et Chaussée» [Link]

 

«Inventaire des Livres du Bureau des Ponts & Chaussées.

 

1.

Correspondance, Copies des Lettres écrites du Bureau dès le 26me 7bre 1798 au 10me Avril 1799.

Rouge marbré dans le buffet

2.

Correspondance; Copies des Lettres du Bureau avec les No. des Lettres reçus; de celles-ci; & des réponses. dès le 1er Janvier 1800 jusqu’à la fin de cette année.

Grand Livre

3.

Correspondance: Copies des Lettres du Bureau &c. dès le 1er Janvier 1800 [1801?]

au ….

Grand Livre

4.

Journal des Lettres reçues, avec leur No. & date; celui de la Réponse & date de réponse du Bureau: depuis le 14me Mars 1799 jusqu’au 30me Decembre de dite année les Copies des Lettres du Bureau se trouvent dans ce livre; mais depuis cette dernière époque jusqu’au 30me Septembre 1801, on ne trouve que l’inscription des lettres reçues avec les No. & les dates.

Grand Livre

5.

Journal des Lettres reçues avec No. & dates &[c]. dès le 1er 8bre 1801.

Grand Livre

6.

Correspondance du Chef de la Division des Ponts & Chaussées; avec ses Rapports, & Instructions

Présent Livre

7.

Rapports & Préavis; dès le 16me 9bre 1798, au 8me 8bre 1799

Rouge marbré dans le Buffet

8.

Livre des Rapports présentés au Conseil Exécutif dès le 8me 8bre 1799 au …

 

9.

Rapports, Arrêtés & Lettres pour affaires concernant les Péages, Ponts & Chaussées réunis.

Bleu marbré dans le Buffet

10.

Régistre des Loix & Arrêtés concernant les Péages & Pontenages réunis au Ponts & Chaussées dès [le] 5me Decembre 1799, au …

Carton verd dans le Buffet

11.

Arrêtés & Messages dès le 2me Juillet 1798 au 17me 7bre 1800.

Brun marbré dans le buffet

12.

Loix & Arrêtés en Originaux, dès le 2me Juillet 1798 au…

Carton bleu

13.

Arrêtés en Originaux, Lettres & Messages du Pouvoir Exécutif, dès le 2me Juillet 1798 au 13me May 1800.

Carton bleu

14.

Arrêtés en Originaux, Lettres & Messages, depuis le 13me May 1800, au …

Carton bleu.

15.

Répertoire ou Régître de l’Abrégé des Loix, Arrêtés & Réglements.

Livre rouge

16.

Instructions pour l’Inspection des Routes

[Livre] Bleu

17.

Régître des payements, assignations;

[Livre] Violet

 

Suite de l’Inventaire des Livres du Bureau

 

18.

Livre des Assignations & Payements divisé par Cantons.

Cahier blanc

19.

Deux Répertoires de Lettres reçues en 1798, 1799 &1800, non continué[s].

Rouge marbré dans le buffet

20.

Répertoire ou Régistre Abregé des Lettres écrites par le Bureau

violet

21.

Inventaire des Plans & des Cartes.

Brun marbré

22.

Tableau des Machines Hydrauliques & Mémoires Instructifs sur les prix des Ouvrages & des matériaux & sur les Personnes à employer.

Carton rouge

23.

Tableau de la Classification des Routes & Etat des Pionniers

Carton verd

24.

Esquisses & Minutes des Lettres du Ministre & du Chef de la 3me Division.

Carton verd

25.

Cahier Inventaire des Papiers & Desseins dans les Cartons»

 

Besonders interessant sind die unter 4. und 5. gemachten unscheinbaren Präzisierungen hinsichtlich der Ordnungszahlen, welche die vor- und nachgelagerten Schreiben in den Kopialbüchern, in den Kantonsdossiers und in andern Dossiers erklären.



[1] Gemäss HLS-Artikel «Bundesarchiv» waren es am Ende der Helvetik 1803 4200 Bände oder 30 bis 40 Wagenladungen. Die anschwellende Schriftlichkeit wurde von Rudolf Braun schon für das Ancien Régime beschrieben und begründet. Sie war also nicht absolut neu. Neu war der institutionelle Rahmen des zentralstaatlichen Experiments.

[2] Fankhauser, Andreas. Die Bedeutung der Helvetik für die Ausbildung moderner kantonaler Verwaltungsstrukturen, in: Itinera 21, Basel 1999, 79–91, 89.

[3] Fankhauser, Andreas. Die Exekutive der Helvetischen Republik 1798–1803. Personelle Zusammensetzung, innere Organisation, Repräsentation, Studien und Quellen. Zeitschrift des Schweizerischen Bundesarchivs 12, 1986, 181.

[4] Bernet, Paul. Der Kanton Luzern zur Zeit der Helvetik. Aspekte der Beamtenschaft und der Kirchenpolitik, Luzern 1993, 229.

[5] Missivenbücher des Kriegsministers, die den Geschäftsbereich «Génie, Ponts et Chaussée» betreffen: CH-BAR#B0#1000/1483#2812–2815.