Die Strassenenquête(n) 1799/1801

Die engere Geschichte der helvetischen Strassenreform, in der die Strassenenquête ein wichtiges Vorhaben war, begann 1798 einerseits mit der Besetzung eines eigentlichen Büros für Genie-, Strassen- und Brückenwesen in der helvetischen Zentralverwaltung und anderseits mit einem Gesetz, wonach die Gemeinden wie bis anhin verpflichtet seien, die Strassen zu unterhalten, bis ein neues Gesetz die Bedingungen eines reformierten Strassenwesens regle. Die Strassenreform war sowohl eine revolutionäre Forderung der gegen die Feudallasten ankämpfenden Bauern als auch eine verwaltungsorganisatorische Bedingung des Baus von Chausseen. Diese waren in den überkommenen, sehr unterschiedlichen Verhältnissen der Strassenpflichtigkeit nur schwer zu unterhalten. Umfragen sollten die Kenntnisse beschaffen, auf deren Grundlage die geplante Veränderung dieser Verhältnisse vollzogen werden konnte. 

Der unterzeichnende Kriegsminister und der federführende Generalinspektor wandten sich in mehreren Umfragen an die neuen kantonalen Verwaltungen. Sie fragten:

  1. nach den Hauptstrassen,
  2. nach den Strassenzuständen und den realisierten respektive geplanten Verbesserungen,
  3. nach der Organisation des Strassenwesens in den Kantonen,
  4. nach den jährlichen Ausgaben für Strassen und Brücken,
  5. nach der zukünftigen Organisation des Strassenwesens,
  6. nach den Strassen, deren Verlauf, deren Zustand, deren Verkehrsbedeutung und Verkehrsfrequenz sowie einer darauf beruhenden Klassifikation und
  7. nach den Fachleuten und den Löhnen, den Materialien oder den Fuhrleistungen und deren Preise.

Die Strassenumfragen

Wenn wir mit dem Projekttitel «Die helvetische Strassenenquête» den Eindruck erwecken, dass es sich um eine einzelne Umfrage handelte, so ist das nach mittlerweile vierjähriger Auseinandersetzung mit dem Thema wenn nicht zu korrigieren, so doch entscheidend zu erweitern.[1] In den Jahren 1799 bis 1801 richtete die Division III «Génie, Ponts et Chaussées» des Kriegsministeriums mehrere Umfragen an die Kantone respektive an deren Verwaltungskammern. Diese Umfragen hatten einerseits zum Ziel, in der zentralen Verwaltung des Ministeriums ein Verwaltungswissen als Entscheidungsgrundlage im Strassenwesen zu schaffen. Anderseits wurden durch die Anfragen die mit den Strassen und dem Verkehr befassten Chargen der Kantone, Distrikte und Munizipalitäten, die Statthalter, Ingenieure, Unterstatthalter, Agenten und Pioniere oder Wegknechte ihrerseits gezwungen, sich ein detailliertes Bild der eigenen Regionen und der eigenen Aufgaben zu machen und darüber eine Korrespondenz mit der Zentrale zu führen. Teilweise wurden mit den Umfragen auch schon darauf aufbauende Verwaltungs- und Vollzugsmassnahmen angeordnet, wie beispielsweise die Vermessung der Strecken, deren Aufteilung in Wegbezirke oder die Ernennung von Wegknechten auf den neu definierten Abschnitten der Strassen erster und zweiter Klasse.

Sieben Umfragen…

Erste Umfrage

Eine erste Umfrage richtete der Kriegsminister am 13. Dezember 1798 mit einem «Circulaire» an die den helvetischen Kantonen vorstehenden Nationalpräfekten: Sie sollten dringend eine Tabelle mit Informationen zu den vom Kanton unterhaltenen Strassen, zu deren Längen und zu den durch diese verbundenen Orten einsenden.[2] Es ist wahrscheinlich, dass das Dokument «Strassen. Beschreibung u. Klassifikation. Kantone, alphabetisch […] 1798–1799» aus den Rückmeldungen dieser Umfrage entstand.[3]

Zweite Umfrage

Schon am 1. Februar 1799, also nur rund sechs Wochen später, wandte sich der Kriegsminister mit einem neuerlichen Rundschreiben an die Verwaltungskammern der damals 18 Kantone.[4] Diese sollten ihm einen Bericht über die Strassenzustände sowie über die in letzter Zeit gemachten und in naher Zukunft geplanten Verbesserungen liefern.[5] Verschiedene Antworten aus den Kantonen sind in den im Bundesarchiv überlieferten Kantonsdossiers enthalten.[6]

Dritte Umfrage

Eine nächste Umfrage richtete der Kriegsminister am 30. September 1799 an die Kantone. Sie sollten über ihre jeweilige Organisation des Strassenwesens berichten.[7] Ziel der Umfrage war es, die unterschiedlichen Verwaltungen zunächst einmal festzustellen, um diese, wenn sie nicht der helvetischen Ordnung entsprachen, aufzulösen respektive zu vereinheitlichen. Es stellte sich heraus, dass das fast überall der Fall war. Aus der für die alte Eidgenossenschaft charakteristischen grossen Unterschiedlichkeit der Orte war eine ebenso vielfältige Unterschiedlichkeit der Verwaltungsverhältnisse bezüglich der Strassen hervorgegangen, die in zahlreichen Fällen in die Zeit der Helvetik fortbestand.

Vierte Umfrage

Mit einem weiteren Rundschreiben forderte der Kriegsminister am 25. Januar 1800 von den kantonalen Verwaltungskammern Informationen, um die jährlichen Strassen- und Brückenausgaben abschätzen zu können. Dafür benötigte er a) ein jährliches Budget für die Leitung und die Inspektion sowie nach Funktion geordnet für die angestellten Personen, b) Informationen über die Zahl und die Kosten der «Pioniere» sowie c) über die jährlichen Unterhaltskosten vor allem der Staatsstrassen.[8]

Der «Rapport» des helvetischen Strassenchefs Guisan «Sur l’organisation des ponts et chaussées du 15e Mars 1800» und ein Nachtrag vom 5. April beruhten im Wesentlichen auf den Rückläufen dieser bisherigen Umfragen. Die Rapporte respektive die darauf aufbauenden Regierungsbeschlüsse sollten die gesetzliche und organisatorische Basis einer neuen Strassenverwaltung bilden, in deren Zusammenhang auch die nachfolgenden Umfragen standen.

Fünfte Umfrage

Bei der fünften Umfrage vom 15. September 1800 sollten die Verwaltungskammern vier Fragenkomplexe beantworten. Die erste Frage bat um die Meinung der Verwaltungskammern, bis zu welcher Höhe man Zölle und Strassengelder erheben könne, ohne den Handel zu beeinträchtigen. Mit der zweiten Frage wollte man wissen, ob und wie sich die Art und die Organisation je nach Bedeutung der Strasse unterscheiden würden respektive unterscheiden sollten. Diesbezüglich wurde auch die Einstufung nach vier Klassen evaluiert. Die dritte Frage betraf die Strassen, auf denen es überhaupt sinnvoll sei, Zölle oder Weggelder zu erheben. Viertens sollten die Verwaltungskammern die Frage nach den Möglichkeiten der Finanzierung neuer Strassen beantworten.[9]

Sechste Umfrage

Der Rücklauf der Antworten überschnitt sich zum Teil mit der sechsten Umfrage. Der Kriegsminister forderte mit dem Zirkularschreiben vom 18. Oktober 1800 die Verwaltungskammern zur Klassifizierung des regionalen Strassen- und Wegnetzes auf. Er nannte nun auch einen konkreten Zweck der Umfrage. Ziel war es, «eine Generaltabelle aller Strassen Helveziens zu verfertigen». Im Schreiben nicht genannt wurde ein noch bedeutend weitergehendes Ziel, das aber explizit aus dem Gesetz vom 22. Oktober 1800 und noch deutlicher aus dem Feedbackprozess hervorgeht: Die Umfrage sollte die Grundlage für eine nach Klassen abgestufte Mitfinanzierung des Unterhalts durch Ingenieure und Wegknechte des Strassen- und Brückenbaus sowie durch spezialisierte Unternehmen bilden.

Diese letzten beiden Umfragen bilden den Kern unseres Nationalfondsprojektes. In diesem sind die Klassifizierungstabellen die Grundlage der Rekonstruktion der Strassen- und Wegnetze.

Siebte Umfrage

Am 25. Februar 1801 schliesslich wandte sich der Kriegsminister mit einer siebten Umfrage an die kantonalen Strassen- und Brückeninspektoren. Es handelte sich um den umfangreichsten Fragenkatalog überhaupt. Die kantonalen Verantwortlichen sollten ihm innert sechs Wochen 23 Fragen beantworten. Sie betrafen die vor Ort vorhandenen Fachleute, Ingenieure, Baumeister, Maurer, Zimmerleute, Wegmeister, Schmiede, Unternehmer des Strassenbaus und deren Löhne, die Fuhrkapazitäten und die Kosten der Fuhren, die Steinbrüche, Kiesgruben, die Qualität und den Preis der Steine, die Qualität und den Preis von Dachziegeln, Backsteinen, des ungelöschten und gelöschten Kalkes, der verschiedenen in den Regionen vorhandenen Hölzer sowie die Preise der Werkzeuge, der Schub- und der Pferdekarren.[10]

Weitere Kampagnen zur Informationsbeschaffung

Aufgrund der Dokumente in den Dossiers 3172 (Strassenvermessungen)[11] und 3174 (Brückeninventare)[12] des Bundesarchivs stellt sich die Frage, ob der Kriegsminister in weiteren Zirkularen die Vermessung der Hauptstrassen und die Inventarisierung der Brücken angeordnet hatte. Bei den Vermessungen wird jedoch klar, dass es sich dabei um keine speziellen, kohärenten Umfragen mehr, sondern eindeutig um Verwaltungsvollzug handelte, der allerdings noch im Zusammenhang mit den Enquêten von Ende 1800 und anfangs 1801 stand. Und auch hinsichtlich der Brückeninventare deuten die Datierungen der Tabellen – etwa die Hälfte wurde im Sommer 1799, die andere Hälfte bis November 1800 verfasst – darauf hin, dass es sich dabei nicht um eine Umfrage handelte, es sei denn, die Umfrage wäre irgendwann in der ersten Hälfte des Jahres 1799 an die Verwaltungskammern gerichtet worden.

… oder doch eher ein Umfrageprozess

Wenn man diese Umfragen und die weiteren Informationserhebungen in Reihenfolge und Themen überblickt, kann man auch schon Richtung und Zielsetzung jener Verwaltungsmodernisierung feststellen, für die institutionalisierte Entscheidungs- und Kontrollverfahren, ein wachsendes Eindringen von Expertenwissen, die Vereinheitlichung von Sonderrechten und Regelungen, die Zentralisierung sowie die Trennung von Regierung und Verwaltung grundlegend waren. Die Umfragen treten damit nicht nur als relativ isolierte Instrumente der Wissensermittlung, sondern auch als Elemente eines hierarchisch organisierten Verwaltungshandelns hervor, das anhand der Division III «Génie, Ponts et Chaussées» beispielhaft fassbar wird. Diese Erkenntnis ist neu. Sie kann auch die wissenschaftliche Einordnung anderer Umfragen (Volkszählung, Schulenquête, Pfarrenquête etc.) befruchten.

Angesichts der aus der Abfolge hervorgehenden Sachlogik stellt sich nun wiederum die Frage, ob es denn richtig sei, von sieben Umfragen zu sprechen, oder ob man in diesem Falle nicht besser von einem eigentlichen fortschreitenden Umfrageprozess sprechen sollte. Die Tatsache, dass alle diese Umfragen in der Konsequenz der Verwaltungsreform standen, wie sie Jean Samuel Guisan mit einer Denkschrift vom Oktober 1798 gefordert hatte, deutet eher auf die zweite Möglichkeit.



[1] Die Liste der Umfragen in Holenstein, André. Reform und Rationalität. Die Enquêten in der Wissens- und Verwaltungsgeschichte der Helvetischen Republik, in: Tröhler, Daniel; Messerli, Alfred; Osterwalder, Fritz; Schmidt, Heinrich Richard (Hg.). Volksschule um 1800. Studien im Umfeld der Helvetischen Stapfer-Enquête 1799, Bad Heilbrunn 2014, 13–32, Liste 20f., die zwei Strassenumfragen dokumentiert, wäre entsprechend zu erweitern.

[2] CH-BAR#B0#1000/1483#2812#1, p. 16 [PDF-S. 27]; ASHR 15, Nr. 2130, 861: «Il est urgent d’avoir promptement un tableau qui contiendra: 1° la quantité des routes qu’il y a à entretenir dans votre canton; 2° l’indication de tous les lieux où elles passent, avec les distances exactes des unes des autres; 3° enfin la distinction de celles qui étant moins larges ne conduisent que dans l’intérieur du pays d’avec celles qui servent de grandes communications. – Vous voudrez bien donner des ordres pour qu’il soit fait de suite et me l’envoyer incessamment.»

[3] CH-BAR#B0#1000/1483#3171#1, fol. 1-30 [PDF-S. 1-57].

[4] Rätien schloss sich erst am 21. April 1799 der Helvetischen Republik an.

[5] CH-BAR#B0#1000/1483#2812#1, p. 54-55 [PDF-S. 65-66]; ASHR 15, Nr. 2027, 844: «Je vous charge de me faire parvenir le plus tôt possible un rapport exact de la situation ou de l’état actuel des chemins de votre canton. Vous y joindrez l’époque des dernières réparations faites dans chaques partie, et le temps que vous avez déterminé pour en faire de nouvelles.»

[6] CH-BAR#B0#1000/1483#3151–CH-BAR#B0#1000/1483#3165.

[7] ASHR 15, Nr. 2031–2037, 846f.

[8] BAR B 2812, p. 5 [PDF-S. 6]; ASHR 15, Nr. 2038, 847.

[9] CH-BAR#B0#1000/1483#2813#1, p. 124-126 [PDF-S. 127-129].

[10] CH-BAR#B0#1000/1483#2814#1, p. 22–24 [PDF-S. 23–27].

[11] CH-BAR#B0#1000/1483#3172#1.

[12] CH-BAR#B0#1000/1483#3174#1.