Die Strassenklassifikationsumfrage vom 18. Oktober 1800 war nicht der erste Versuch, die Strassen in einer hierarchischen Ordnung zu erfassen. Bereits die 1798/1799 entstandene Liste der Hauptstrassen enthielt für einige der Kantone klassifizierende Angaben, die beispielsweise beim Kanton Freiburg zwischen «grande route», «route», «chemin de communication» und «chemin» unterschieden.[1] Und auch aus dem direkten Vorfeld der Umfrage ist aus der Division III «Génie, Ponts et Chaussées» eine klassifizierte Strassenliste überliefert, um die ungefähren Kosten der Reorganisation des Unterhalts für den Staat abzuschätzen.[2]
Neu am Klassifikationsvorhaben war der Raum, den die Umfrage abdeckte – die Helvetische Republik – und ebenfalls neu war die Stringenz der Klasseneinteilung. Die mit der Umfrage vom Herbst 1800 angestrebte Klassifikation in vier und in Gebirgskantonen auch in sechs Klassen sollte erstens aufgrund der Verkehrsfrequenzen und der auf den Strassen verkehrenden Transportmittel erfolgen. Zweites Kriterium der Einteilung war die Kommunikationsbedeutung der Strassen. Der auf den ersten beiden Klassen vorausgesetzte Handelsverkehr[3] implizierte Transporte über grössere Distanzen. Über die Nennung der auf den obersten beiden Klassen verkehrenden schweren Fuhrwerke und Eilpostkutschen (Diligencen) wurde, drittens, eine entsprechende bauliche Qualität vorausgesetzt. Dieses Kriterium wurde in den Rückmeldungen des Kriegsministers auf die ersten Eingänge auch noch explizit formuliert. Im Zusammenhang mit der Identifikation der von schweren Fuhrwerken im Handelsverkehr genutzten Strassen stand auch der Plan, entlang der Strassen erster und zweiter Klasse Waagen zu bauen,[4] um Strassengebühren zur Amortisation der Baukosten und zur Finanzierung des Strassenunterhalts zu erheben. Ausgeschlossen werden sollten regionalpolitische Priorisierungen von Strassen, was in der Folge fast, aber eben nicht ganz eingehalten wurde. In den verschiedenen Dokumenten der Amtskorrespondenz um die Klassifikationsumfrage unterschieden sich die Definitionen der Klassen geringfügig. Eine erste Definition der vier Strassenklassen fand sich in der Vernehmlassung vom 15./20. September 1800:
«1o. Les grandes routes fatiguées par les transports du commerce, et par les voitures & diligences; 2o. Les grandes du second ordres [sic], moins fatiguées qui ne sont pas utiles au public, au commerce et qui servent plutôt à la communication des villes et au debouché de la contrée; 3o. Les petites routes, celles de traverse et tous les rayons qui servent principalement aux communications de l’intérieur; 4o. Les chemins qui communiquent d’un village à l’autre? Vous voudrés bien me faire la description des trois premières espèces de routes qui se trouvent dans votre canton; en me nommant les lieux où elles commencent & finissent et aux intermédiaires.»[5]
Der Version der Vernehmlassung entsprach auch die französische Klassifikation der Umfrage vom 18. Oktober 1800:
«1ere Classe, toutes les grandes routes les plus fatiguées & sujettes, a étre degradées par le transport des grands fardeaux, par les diligences & une grande fréquentation
2°. classe tous les chemins ou les transports du commerce ce sont moins freque[t]s & occasionnent peu de dégradations mais qui doivent néanmoins étre mis au nombre des grandes routes
3° classe les chemins de traverse de tous ceux qui seroient à communiquer depuis les grandes routes dans l’intérieur et d’une contrée à l’autre.
La quatrième classe comprendra ceux qui ne servent qu’à communiquer d’une commune à l’autre.»[6]
Aufforderung zur Klassifikation der Strassen: Schreiben des Kriegsministers an die Verwaltungskammer des Kantons Luzern vom 18. Oktober 1800.
Eine vollständige deutschsprachige Aufforderung zur Klassifizierung der Strassen ist im Staatsarchiv des Kantons Luzern überliefert:
«3te Division Circulaire No. 655.
Bern, den 18ten Octob[er] 1800.
Der Kriegsminister der einen und untheilbaren Helvetischen Republik an die Verwaltungs-Kammer des Cantons Luzern
Bürger Verwalter!
Ihr Gutachten über die Claßen-Eintheilung der Wege ist mir nöthig, Sie wollen mir daher hier über eine Darstellung in folgender Ordnung geben, und dargestelt in Klaßen theilen.
1te Klaße, alle Hauptstraßen die am meisten mitgenommen und durch den Transport großer Lasten, Postkutschen und sonsten häüfigen Besuch der Zugrundrichtung am ehesten unterworfen sind.
2te Klaße, alle Wege wo der Handelsverkehr weniger stark ist, und der die Wege nicht sehr verdirbt, die aber doch zu den großen Straßen gerechnet werden müßen.
3te Claße, die Nebenwege und alle jene die zu Verbindungen von den großen Straßen mit dem Innern und von einer Gegend zur andern, dienen, die vierte Claße wird endlich jene begreifen, die die Verbindungen der Gemeinden unter sich selbst machen.
Die Wege der dreÿ ersten Klaße[n] müßen in der Darstellung besonders beschrieben werden, und man muß aus derselben den Ort des Anfangs und des Ends, so wie die Zwischen-Orte wo sie durchgehen mitnehmen können.
Da diese Arbeit kein großes Unternehmen und keine Reise erheischt, sondern dieselbe blos Stuben-Arbeit ist, so wünsche ich, Bürger Verwalter, daß Sie sie sogleich ausführen laßen, und mir selbe sobald möglich zusenden mögen.
Republikanischer Gruß!
[Joseph] Lanther».[7]
In der Korrespondenz wurden die erstklassigen Strassen auch schon einmal «nationale Hauptstrassen» genannt. In der deutschsprachigen Korrespondenz sind die dritte und vierte Klasse in einer wichtigen Hinsicht unbestimmt respektive unterschiedlich definiert. In einigen Korrespondenzen wurden für diese die Begriffe Fahrstrasse und Fahrweg verwendet, was auch deren Befahrbarkeit implizierte. In der Konsequenz wurde die vierklassige Einteilung für die Gebirgskantone während der laufenden Umfrage noch um eine fünfte und sechste Klasse der Saum- und Fusswege ergänzt, als es sich zeigte, dass im Gebirge auch nicht befahrbare Wege regionale Haupterschliessungen waren.
Die sechsklassige Einteilung ist erstmals in der Korrespondenz des Kriegsministers mit der Verwaltungskammer des Kantons Waldstätten überliefert, aus der Peter Hoppe zitiert:
«In die dritte Klaße werden Sie nur diejenigen Wege setzen, welche man mit Fug und Recht Straßen nennen kann, die zu Verbindungswegen durchs Land dienen und mit beladenen Fuhrwerken befahren werden können. [...] Unter der vierten Klaße werden Sie diejenigen Wege begreifen, so mit Wagen befahren werden können und sich nicht in den vorhergehenden Klaßen befinden. [...] In eine fünfte Klaße werden Sie alle diejenigen Verbindungswege ordnen, durch welche man nur mit Saumthieren gehen kann. [...] Endlich werden Sie den bloßen Fußwegen für Landbewohner eine sechste Klaße anweisen.»[8]
Tatsächlich reichten nun aber nicht alle Gebirgskantone eine sechsklassige Liste ein. Der Kanton Linth und der Kanton Wallis unterteilten in vier Klassen. Besonders in letzterem waren bei Weitem nicht alle dritt- und viertklassig eingestufte Strassen auch wirklich befahrbar.
Wir stützen uns für die folgende deutsche Paraphrasierung der Strassenklassen auf das französische Circulaire, auf dessen deutsche Version, auf den deutschen Text des Gesetzes vom 22. Oktober 1800 sowie auf die Klassifizierungen der Kantone Basel[9] und Waldstätten.
1. Klasse
Hauptstrassen, die durch Transport grosser Lasten, durch Diligencen und allgemein grosse Frequenzen am meisten mitgenommen werden.
2. Klasse
Strassen, die durch Fuhrwerke des Handelsverkehrs weniger mitgenommen werden, die aber dennoch zu den grossen Strassen gerechnet werden.
3. Klasse
Kommunikationswege, die von den grossen Strassen aus ins Landesinnere führen oder die Regionen untereinander verbinden.
4. Klasse
Gemeindeverbindungen.
5. Klasse
Saumwege.
6. Klasse
Fusswege.
Einen besonderen Zugang zur Klasseneinteilung gewährt schliesslich die Legende einer nicht realisierten oder – weniger wahrscheinlich – einer nicht überlieferten Karte. In den Beständen des Bundesarchivs sind wohl Vorarbeiten, nicht aber die Karte selbst überliefert. Wir gehen davon aus, dass es sich um jene Karte handelte, die Mitte 1801 als Projekt einer Strassenkarte im Gespräch war. In Quellen der Zollverwaltung wurde diese als bestehend nachgewiesen. Die Tatsache, dass die Kartenlegende neben den vier Klassen auch die Saum- und Fusswege enthält, lässt auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung Ende 1800, anfangs 1801 und auf einen direkten Zusammenhang mit der Klassifikationsumfrage schliessen: Man hatte die Absicht, die Resultate nicht nur in einer Generaltabelle zu dokumentieren, sondern auch in die Karte einfliessen zu lassen.
Legende der Strassenkarte von 1801 (siehe dazu auch Raumkenntnisse, Kartenwissen, Raumorganisation).[10]
[1] CH-BAR#B0#1000/1483#3171#1, fol. 1-30 [PDF-S. 1-57].
[2] CH-BAR#B0#1000/1483#3173-03#1 fol. 139-140v [PDF-S. 31-34].
[3] Der Begriff Handel oder auch Handlung, wie er in den helvetischen Dokumenten erscheint, implizierte eine mindestens im regionalen Massstab nach aussen führende Austauschbeziehung.
[4] Noms des lieux à établir des Balances à peser les gros chars, CH-BAR#B0#1000/1483#3169#1, fol. 206-207 [PDF-S. 389-390.
[5] CH-BAR#B0#1000/1483#2813*, 124-126 [PDF-S.127-130]; deutschsprachige Version: CH-BAR#B0#1000/1483#3144, fol. 218-219 [PDF-S. 303-305].
[6] CH-BAR#B0#1000/1483#2813#1, p. 142f. [PDF-S. 145f.].
[7] StaLU, Akt27/149, 2a-2b.
[8] Zitiert nach Peter Hoppe. Das innerschweizerische Strassen- und Wegnetz im Jahr 1801. Eine Auswertung der helvetischen Strassenklassierung im Kanton Waldstätten, in: Der Geschichtsfreund. Mitteilungen des Historischen Vereins Zentralschweiz, 158, 2005, 211–249 2005, zit. 218–220.
[9] CH-BAR#B0#1000/1483#3170#1, 1-9 [PDF 1-17], fol. 1 [PDF-S. 1].
[10] CH-BAR#B0#1000/1483#3168-02#1, fol. 260 [PDF-S. 49].