Der verwaltungsgeschichtliche Kontext

Oftmals wird aus den Hauptzielen «des revolutionären Programms der Helvetik» – «die Rechtsgleichheit, die Abschaffung der Zehnten und Grundzinsen, die Umstellung von der Finanzwirtschaft des Ancien Regime auf ein modernes, einheitliches Steuersystem, die Förderung des Erziehungswesens, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und anderes mehr» –[1] darauf geschlossen, dass das Strassenwesen offensichtlich keine Priorität genoss. Das ist jedoch in mehreren Punkten zu relativieren. Auch die Verwaltungsreform war ein zentrales Anliegen der helvetischen Protagonisten in Regierung und Ministerien. Und für die Verwaltungsmodernisierung war wiederum das Genie-, Strassen- und Brückenwesen eine wichtige Leitlinie. Das traf nicht nur auf die Zeit der Helvetik, sondern auch schon auf die werdenden Staaten des Ancien Régime und später auf die Kantone der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu.[2]

In der aktuellen Forschung wird auch die verwaltungsgeschichtliche Bedeutung der Helvetik vermehrt diskutiert und zuweilen sogar hervorgehoben. Die Einleitung zum Sammelband «Sozialdisziplinierung – Verfahren – Bürokraten. Entstehung und Entwicklung der modernen Verwaltung» beginnt mit dem Satz: «Politische Herrschaft begegnet uns im Alltag als Verwaltung.»[3] Auf diese nahe beim Diktum von Max Weber: «Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung», gehaltene Feststellung wird oft rekurriert; sie ist grundlegend. Nun zeichnete sich aber die Zeit der Helvetik nur in geringem Masse durch einen Alltag aus, in dem Routinehandeln möglich gewesen wäre: permanente Verfassungsdiskussionen, zwei neue Verfassungen, zwei Umzüge der Zentralverwaltung in eine neue Hauptstadt, im Herbst 1798 von Aarau nach Luzern und im Frühling 1799 von Luzern nach Bern,[4] Neuordnung der territorialen Einheiten, Krieg, Prekariate, Provisorien und fehlende Mittel, um sowohl die eigene Verwaltung als auch die von ihr angeordneten Massnahmen in den Kantonen und Munizipalitäten zu bezahlen, das waren die schwierigen Bedingungen um 1800. Am effektivsten setzte sich die Verwaltung auf der formalen Ebene, in der Verwaltungskommunikation durch: mit der Schriftlichkeit der Verfahren sowie mit einer verwaltungsorganisatorisch bestimmten Ablage, die auch im Quellenfundus der Strassenverwaltung noch stark und vielfältig nachvollziehbar ist.



[1] Fankhauser, Andreas. Die Zentralbehörden des helvetischen Einheitsstaates. Organisation und Funktionieren, in: Helvetik – Neue Ansätze, Itinera 15, Basel 1993, 35–49, 40.

[2] Vgl. dazu Schiedt, Hans-Ulrich. Die Entwicklung der Strasseninfrastruktur in der Schweiz zwischen 1740 und 1910, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1/2007, 39–54.

[3] Haas, Stefan; Pfister, Ulrich (Hg.). Sozialdisziplinierung – Verfahren – Bürokraten. Entstehung und Entwicklung der modernen Verwaltung, Itinera 21, Basel 1999, 11.

[4] Fankhauser, Andreas. Die Zentralbehörden des helvetischen Einheitsstaates. Organisation und Funktionieren, in: Helvetik – Neue Ansätze, Itinera 15, Basel 1993, 43.